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Einführung: In den letzten Jahren entstand gleichzeitig an verschiedenen Orten der Welt eine Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, »freie Netze« aufzubauen. In Anknüpfung an die Ideen hinter Freenets, Bürgernetzen, Mailbox-Szene und digitalen Städten geht es darum, dass Bürgerinnen und Bürger die Vernetzung selbst in die Hände nehmen. Eigene Kommunikationsstrukturen sollen aufgebaut werden, die möglichst frei von staatlichen und privatwirtschaftlichen Zwängen sind. Zu diesem Zweck wird vorzugsweise die Technologie der Wireless Local Area Networks (WLAN) verwendet. Die drahtlose Netztechnologie ermöglicht es, direkte Verbindungen zwischen Nutzern aufzubauen, ohne auf die Infrastrukturen von Telekoms und kommerziellen Internet-Service-Providern zurückzugreifen. WLAN wird derzeit auch von der Industrie heftig beworben und immer mehr so genannte Hotspots entstehen – Zonen im öffentlichen Raum, wo man sich drahtlos mit einem Funknetzknoten verbinden und über diesen ins Internet gelangen kann. Doch der Bewegung für freie Netze geht es um mehr als die Errichtung einzelner WLAN-Hotspots. Die Hotspots sollen miteinander verbunden werden, so dass aus vielen kleinen Funkzellen größere Maschennetze entstehen. Man kann sich diese als eine zusammenhängende Datenwolke vorstellen, die z. B. einen ganzen Stadtteil abdeckt. Innerhalb dieser Datenwolke ist die Kommunikation mit großer Bandbreite möglich. Die Teilnehmer kommen in den Genuss von Anwendungen, die schnelle Datenübertragung benötigen, wie Audio- und Video-Streaming, Internettelefonie und Netzwerkspiele. Da keine kommerziellen Netze benutzt werden, fallen außer den Investitionskosten und dem Arbeitsaufwand für Wartung und Betrieb keine weiteren Kosten mehr an. Der Aufbau und Betrieb dieser Netze wird gemeinschaftlich organisiert. Die Netzwerkerinnen treffen sich zu Workshops, wobei sie sich über technische und organisatorische Details austauschen und diskutieren, wie die Netze weiterentwickelt werden können.
Die WLAN-Bürgernetze sind jedoch nicht völlig vom Internet abgetrennt. Teilnehmer, die über einen breitbandigen Internetzugang verfügen, ermöglichen es anderen, diesen mitzubenutzen. Die Benutzung muss nicht immer frei im Sinne von gratis sein. Anfallende Kosten werden häufig wie bei einer Netzgenossenschaft oder -kooperative geteilt. Durch das Teilen der Ressource Internet wird jedoch auch der Internetzugang für alle Beteiligten billiger. Dieser Ansatz ist im Grunde technologieneutral. Es gibt eine Anzahl freier Netze, die kein WLAN benutzen, sondern konventionelle, kabelgebundene lokale Netze. Aus diesem Grund und auch, um sich ein wenig vom WLAN-Boom abzugrenzen, wird der Begriff »Free Networks – Freie Netze« bevorzugt. Bei einem internationalen Meeting Anfang 2002 einigten sich die Netzaktivisten auf die Verwendung dieses Begriffs, der aus denselben Gründen auch zum Titel dieses Buches wurde. »Free Networks« verweist zugleich auf die Analogie zu »Free Software«. Immer mehr Software wird heute unter CopyleftLizenzen gestellt, so dass sie als Gemeingut genutzt werden kann. Ähnlich wie freie Software entstehen freie Netze durch die kooperativen Handlungen vieler einzelner Akteure. Dabei ist der Aspekt der persönlichen Freiheit ausschlaggebend und nicht, dass etwas gratis angeboten wird.
Nach dem Scheitern der New Economy und dem daraus resultierenden Brachliegen von Netz-Infrastrukturen – nie in Betrieb genommene Breitbandnetze auf der Basis von Glasfaserkabeln – bieten sich drahtlose Bürgernetze als alternatives Modell für eine nachhaltige Informationsökonomie an. Das Wachstum dieser drahtlosen Bürgernetze erfolgt organisch und dezentral. Kein zentraler Provider, ob kommerziell oder nicht, ist für den Aufbau der Netze verantwortlich. Diese entstehen, indem die Idee für freie Netze von Individuen, Gruppen und kleinen Organisationen aufgegriffen wird, die ihre eigenen Netzknoten einzurichten beginnen.
Einige dieser Projekte, wie Consume in London, Personal Telco und Seattle Wireless an der Westküste der Vereinigten Staaten, haben bereits Hunderte Netzknoten geschaffen und Presse, Industrie und Regierungen aufhorchen lassen. Andere sind eher noch in der Anfangsphase. Wavelan Berlin, freifunk.net, Luftnetz.ch treiben die drahtlose Vernetzung nun auch im deutschsprachigen Raum zügig voran. Die Bewegung freier Netze existiert jedoch nicht nur in großen Städten. Gerade auch in kleinen Städten und auf dem Land, wo es oft schwierig ist, eine gute Internetverbindung zu bekommen, bietet sich das Modell als Lösung an. Auch in Entwicklungsländern, in denen es nur schwache Infrastrukturen gibt, können mittels WLAN schnell und günstig Verbindungen aufgebaut werden.
Rein technologische Aspekte stehen in diesem Buch nicht allzu sehr im Vordergrund. An meinem Wohnort London konnte ich die Entwicklung freier Netzprojekte von Anfang an mitverfolgen. Ein drahtloses Netz in meiner nächsten Umgebung, free2air, sorgt für meinen alltäglichen Internetzugang. Aus dieser Perspektive konnte ich nicht nur die Vorzüge kennen lernen, sondern auch Probleme und Schwierigkeiten aus nächster Nähe miterleben. Es war mir ein Anliegen, nicht nur die einzelnen Projekte zu schildern, sondern auch auf den Kontext, die Politik und Geschichte freier Netze einzugehen. Neben der physischen Realität der Netze erschien es mir auch nötig zu beschreiben, was in diesen Netzen inhaltlich transportiert werden kann und woher die Motivation der Betreiber stammt. Ob sich freie Netze durchsetzen werden, ist an dieser Stelle alles andere als klar. Deshalb erschien es mir angemessen, diese Geschichte ohne klaren Ausgang zu beenden. Das weitgehend modular aufgebaute Buch kann beinahe an jeder Stelle aufgeschlagen werden und sollte hoffentlich immer interessanten Lesestoff bieten.